Die Content-Industrie versucht ja schon seit Jahren, den kleinen User, der sich mal illegal ein Musikstück oder einen Film herunterlädt zu kriminalisieren und als Raubkopierer zu brandmarken. Abgesehen davon, dass der Begriff einfach nur falsch ist, sind Filmstudios und Musikproduzenten immer wieder an vorderster Front dabei, wenn es Zensur und Kontrolle im Internet geht. Immerhin waren sie auch die treibenden Kräfte hinter dem gescheiterten ACTA-Abkommen. Jetzt fährt die Industrie, welche ihr Geschäftsmodell einfach nicht an die Neuzeit anpassen kann oder will, vermutlich bald die schweren Geschütze auf und zieht offiziell in den Cyberkrieg gegen Lieschen Müller und John Doe.
Die US-Amerikanische Unterhaltungsindustrie lotet nämlich derzeit aus, ob man es durchsetzen kann, Spionagesoftware und Trojaner gegen „Raubkopierer“ oder „Piraten“ einzusetzen, mit denen sie sogar die Kontrolle über den PC des Übeltäters übernehmen können. Also was ist passiert? Die Lobbygruppe der Unterhaltungsindustrie, die „Commission on the Theft of American Intellectual Property“ hat nach reichlich Überlegung einen Bericht mit möglichen Maßnahmen gegen Cyberpiraterie veröffentlicht. Das Machwerk ist 84 Seiten lang und kann hier eingesehen werden.
Was ist geplant?
Die interessantesten Punkte sind sicherlich die Ideen des Einsatzes von Schadsoftware. So spielt man beispielsweise Szenarien durch, laut denen die Contentmafiaindustrie Schnüffelprogramme einsetzt, die den Computer eines potentiellen Filesharers nach unrechtmäßigen Inhalten durchsucht. Als wäre das noch nicht genug, hält man es wohl auch für eine gute Idee, wenn man mit dieser Software einige Dateien oder den ganzen Computer sperren kann. Aufheben lässt sich solch eine Sperre beispielsweise durch Selbstanzeige bei der Polizei oder durch Lizenzzahlung an den das entsprechende Unternehmen, das das Copyright auf das jeweilige Werk besitzt. Also eigentlich ist es eine reine Lösegeldforderung. Erpressung heißt das im Volksmund.
Weiter interessant ist auch die angedachte Funktion, die komplette Kontrolle über den Computer zu übernehmen. Man könnte Malware ins Netzwerk einschleusen, Geräte kontrollieren und evtl. sogar physischen Schaden anrichten. Dagegen ist der Vorschlag, man könnte den „Hacker“ mit dessen Webcam fotografieren und somit identifizieren noch ziemlich harmlos.
Willkommen im Internet
Die Industrie hat also das Internet erkannt. Nachdem sie es lange genug als Feind ihrer überholten Geschäftsmodelle verdammt hat, will man jetzt offensichtlich die Schiene fahren, laut er man sich mit seinem Feind verbündet, wenn man ihn nicht besiegen kann. Herzlichen Glückwunsch Contentindustrie, ihr habt das Internet verstanden.
Man muss dieser Vereinigung immerhin zugutehalten, dass sie diese Vorgehensweisen (noch) nicht direkt fordert und sich auch nicht ganz sicher ist, ob sich das gesetzlich durchkriegen lässt. Bedauerlicherweise entwickelt sich schließlich die Gesetzgebung nach der heutigen Lage nicht ganz so schnell wie das Internet. Und leider machen theoretisch ja auch noch die Politiker die Gesetze, keine Privatunternehmen.
Kein Rant, aber…
Ich wollte keinen Rant schreiben, aber ein wenig kann ich es mir dann doch nicht verkneifen. Die Entertainment-Industrie geißelt ja jeden, der sich mal ein Musikstück herunterlädt als Raubkopierer. Kopierer mag ja stimmen, aber zur Definition von Raub gehört die Anwendung, oder zumindest Androhung, von Gewalt und die Entwendung von Eigentum. Ich glaube nicht, dass jemals jemand bei Sony BMG in der Chefetage stand, eine Waffe zückte, eine Kopie des neuen Songs von Lady Gaga forderte, inklusive der anschließenden Löschung des Liedes von den Servern der Plattenfirma.
Aber genug dazu. Sicherlich entsteht ein gewisser Schaden, wenn jemand sich ein Musikstück kostenlos herunterlädt, obwohl er dafür hätte bezahlen müssen, das ist richtig. Erstaunlicherweise boomt der Markt mit digitaler Musik oder Film-Streaming-Portalen geradezu. Kaum eine Branche hat innerhalb der letzten Jahre ein so starkes Wachstum verzeichnen können. Das liegt wohl daran, dass es eine Nachfrage gab, die die Industrie lange Zeit nicht befriedigen konnte.
Die Verlust-Lüge
Die Content-Industrie weltweit beklagt sich seit jeher, dass Filesharing der einzige Grund für ihre eigenen Verluste ist. Aus Recherchegründen habe ich mich auch auf Filesharingseiten umgesehen und dort mehr als einmal dinge gelesen wie „Super Spiel, wird gekauft“ oder „Toller Film, schaue ich mir morgen auch im Kino an“. Warum ist das so? Die Computerspieleindustrie veröffentlicht immer mehr Spiele, die noch sehr viele Fehler haben oder einfach nicht das halten, was sie versprechen.
Früher gab es für fast jedes Spiel eine kostenlose Demoversion, so dass man das Spiel ausprobieren konnte und danach entschied, ob man das ganze Spiel haben möchte, oder eben nicht. Bei einem Spiel, das um die 50 Euro kostet, will man vorher wissen, ob man sein Geld in den Sand setzt. Also lädt man es runter und entscheidet danach, ob man die Entwickler unterstützen möchte.
Gleiches gilt für Filme und Musik. Einen Film im Kino zu sehen ist ein besonderes Erlebnis. Die riesige Leinwand, die bequemen Sitze, der bombastische Ton, das sind Dinge, die man daheim nicht hat. Der Kunde kauft das Erlebnis, weniger den Film. Umso ärgerlicher ist es, wenn der 30-sekündige Trailer bombastisch ist, aber der eigentliche Film sterbenslangweilig. Da ein Kinobesuch nun auch nicht gerade billig ist, schaut man vorher in den Film rein und kann entscheiden, ob sich die Investition in einen Kinobesuch lohnt, oder man ihn später auf DVD oder Blu-Ray erwirbt. Mit Musik verhält es sich ähnlich, eine CD kann gut oder schlecht sein. Rückgabe ist ja immer ausgeschlossen, also streamt man das Album erst mal oder lädt es sich runter.
Auf das Kaufverhalten hat das illegale herunterladen aber keinerlei negative Auswirkungen. Zahlreiche renommierte Institutionen und Wissenschaftler, die nicht von der Content-Industrie bezahlt wurden, haben in diversen Studien festgestellt, dass der Einfluss des Filesharing sogar positive Auswirkungen auf den Verkauf hat.
Nachzulesen ist das übrigens beispielsweise in der Studie von Professor Robert G. Hammond von der North Carolina University in den USA oder auch in einer Studie, die von einer gemeinsamen Forschungsstelle der EU in Auftrag gegeben wurde. Manchmal reichen auch Einzelfälle als Beispiel, wie dieser hier.
Von der Perversität einer Idee
Jetzt schießt man mit Kanonen auf Spatzen und überschreitet absolut jede Verhältnismäßigkeit. Stehe ich im Verdacht, auch nur einmal das Urheberrecht verletz zu haben, will die Industrie meinen Computer übernehmen und ihn oder mich als Geisel nehmen. Das ist doch in etwa so, als hätte der Chef von Aldi einfach den Verdacht, dass ich einen Joghurt geklaut hätte und würde nun das volle Recht auf eine konstante Überwachung meiner Wohnräume bekommen. Wobei bei dem Diebstahl eines Joghurts wäre ja immerhin ein tatsächlicher Schaden entstanden, auch wenn er wirtschaftlich mehr als lächerlich wäre.
Wer kommt eigentlich auf die Idee, sich solche Rechte rausnehmen zu wollen? Besonders, wenn Überlegungen angestellt werden, den Router oder Teile des Computers durch verschiedene Maßnahmen physisch zu zerstören? Kommt dann auch bald der Chef des Louvre mit einer Axt zu mir nach Hause und zertrümmert meinen Fernseher, weil ich ein formatfüllendes Foto der Mona Lisa gemacht habe?
Soweit ich weiß, ist Selbstjustiz auch in den USA verboten. Um nichts anderes handelt es sich doch hier. „Du hast dir mein Förmchen genommen, ohne mich zu fragen, also brech ich dir jetzt die Nase“.
Ein Lob an die Kreativität
Man muss aber doch sagen, dass dieses fantastische Werk vor Kreativität nur so strotzt. Allerdings wäre es mir lieber, wenn die Entertainment-Industrie diese Kreativität auch mal in ihre Produktionen stecken würde, anstatt immer wieder die gleiche Musik oder immer wieder die gleichen Konzepte in Filmen umsetzt, bis sie niemand mehr sehen kann. Man denke an Animationsfilme. Die ersten aus dem Hause Pixar waren fantastisch. Mittlerweile kann ich jeden neuen Animationsfilm vorhersagen. Es ist immer das gleiche. Aber daran sind ja auch die Raubmordkopierer schuld.
Darauf, dass es eventuell möglich sein könnte, dass sich die Industrie einfach verändert und unausweichlich immer wieder etwas neues passiert, scheint niemand zu kommen. Es gibt den schönen Begriff der „Schöpferischen Zerstörung“, welcher durch Josef Schumpeter populär wurde. Dieser erkannte schon 1942, dass Märkte mutieren, wobei zwangsläufig einige Geschäftsmodelle etc. zerstört werden, dafür aber Andere neu geschaffen. Das klassische CD-Geschäftsmodell stirbt. Dafür kauft man eben bei iTunes oder Napster seine Musik auf digitalem Weg.
Ich bin mal gespannt, was als nächstes auf den Tisch kommt und was sich die Unterhaltungsindustrie noch alles einfallen lässt. ACTA ist ja zum Glück gescheitert und auch Zugangssperren nach Filesharing gibt es hier nicht. Noch nicht. Es ist nur eine Frage der Zeit bis die beste Regierung die man für Geld kaufen kann ein Einsehen hat. Die Idee scheint ja gut anzukommen, man denke nur an den Bundestrojaner.
Aber wenn man so ein Projekt selbst nicht auf die Beine gestellt bekommt, muss man es eben outsourcen. Geben wir einfach die Justiz in die Hände von Privatunternehmen. Das spart reichlich steuern. Vielleicht kann dann ja auch der Netzausbau subventioniert und somit Arbeitsplätze gerettet werden.